Neue künstlerische Formate für Kinder und Jugendliche
Ein Interview mit den Dozenten Lisa Morfeld und Sven Neumann
Lisa Morfeld und Sven Neumann haben im letztem Jahr eine Reihe von Projekten in der Jugendkunstschule im arte fact durchgeführt indem ein interdisziplinäres künstlerisches Arbeiten im Vordergrund stand. Lisa Morfeld ist bildende Künstlerin, Malerin und Illustratorin, Sven Neumann ist (Geräusche-)Tonmeister, Musiker und Medienkulturwissenschaftler. Beide haben in der Zeit des Lockdowns künstlerische Formate für Kinder und Jugendliche entwickelt, in welchen sich analoges und digitales Gestalten gegenseitig ergänzen. In einem Interview geben sie einen kleinen Einblick in ihre Arbeitsweise.
Frage 1: Liebe Lisa, lieber Sven, ihr arbeitet seit längerem in künstlerischen Projekten zusammen. Was sind eure Erfahrungen in der Zusammenarbeit?
S: Obwohl wir uns bereits seit vielen Jahren gegenseitig bei unseren Arbeiten partiell unterstützten, hat eine wirkliche Zusammenarbeit erst mit den Projekten in der Jugendkunstschule im arte fact ihren Anfang genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war meine künstlerische Tätigkeit überwiegend auf populärkulturelle Medien - nämlich Musik, Film und Fernsehen - ausgerichtet. Das Arbeiten in den Projekten hat mir den Anstoß gegeben, mich verstärkt außerhalb marktorientierter Strukturen und Konventionen zu bewegen und künstlerisch tätig zu werden.
L: Durch die Zusammenarbeit mit Sven hatte ich die Chance, mein künstlerisches Arbeiten in neuen Dimensionen zu denken und experimentell auszuweiten. Vorher war mir gar nicht so bewusst, wie vielfältig sich die bildende Kunst, mit digitalen Medien, im Besonderen den auditiven, verbinden lassen.
S: Diesbezüglich fallen mir sofort die Werke des Filmemachers Michel Gondry ein, der es wie kaum ein anderer versteht Musik, bildende Kunst und Film in populärkulturellen Produktionen miteinander zu vereinen. Und du [Lisa] bist ja seit jeher von seinen Arbeiten begeistert.
Frage 2: Ihr habt in den letzten Monaten unter den besonderen Bedingungen des Lockdowns gearbeitet. Was für Herausforderungen haben sich für euch als Künstler*innen ergeben? Wo lagen die Grenzen? Was für positive Erfahrungen habt ihr gemacht?
L: Wie die meisten Menschen traf uns die Pandemie vollkommen unvorbereitet. Als mit dem Lockdown schlagartig alle Projekte an den Schulen und Jugendeinrichtungen auf unbestimmte Zeit gestoppt wurden, standen wir ganz unvermittelt vor Herausforderungen, die wenige Monate zuvor unvorstellbar waren. Darüber hinaus wusste man lange Zeit nicht, ob oder wie die Projekte überhaupt fortgesetzt werden können.
S: Und dann betraf es auch noch gerade das erste große Projekt, -scapes, das Lisa und ich gemeinsam entwickelten und mit der Jugendkunstschule durchführten.
Jedoch besitzen Störungen die positive Kraft, längst automatisierte Prozesse wieder sichtbar zu machen und verborgene Stärken zu aktivieren. Das trieb auch das kurzfristige Umdenken der Jugendakademie sowie deren Konzeptionierung zur Digitalisierung voran. Als erstes haben wir innerhalb eines „Think Tank“ untersucht, was die mittlerweile habitualisierten Unterrichtseinheiten eigentlich genau ausmachen und welche Korrelationen und Dynamiken dabei auftreten. Anschließend haben wir überlegt, wie wir das in den digitalen Raum übertragen können. Oder besser gesagt, in den digitalen Raum ausweiten können.
L: Unteranderem haben wir darauf geachtet, qualitativ hochwertige Video-Anleitungen und bebilderte Aufgabenblätter in einer für alle Teilnehmer*innen zugänglichen Form und Sprache zu erstellen. Eine besondere Herausforderung war es, die soziale Komponente in den digitalen Raum zu transportieren, also das gewohnte Miteinander im Atelier zu erhalten. Scheinbare Kleinigkeiten, wie darauf zu achten, dass sich der individuelle Charakter der Dozent*innen in der Ästhetisierung der Video- und Online-Tutorials wiederfindet, sind entscheidende Faktoren für den Erhalt der persönliche Nähe sowie dem Wohlgefühl der Teilnehmer*innen.
Grenzen der Online-Arbeit liegen einerseits bei den technischen Voraussetzungen der Teilnehmer*innen zuhause. Das Atelier im arte fact bietet ein vielfältiges Materialangebot, während die Teilnehmerinnen oft nur eine begrenzte Auswahl an Material zuhause vorrätig haben. Andererseits müssen wir die übermittelten Inhalte so gestalten, dass ein Tutorial nicht nur die Beschreibung der Techniken beinhaltet, sondern direkt auch grundlegende Hilfestellungen anbietet.
S: Die Herausforderungen liegen jedoch nicht allein auf der Seite der Dozent*innen, sondern auch bei den Teilnehmer*innen. Es fehlt die unmittelbare Hilfestellung vor Ort. Das verlangt derzeit etwas mehr Selbstdisziplin sowie das Einüben neuer Kommunikationsformen.
Frage 3: Wie sieht nach euren Erfahrungen die Zukunft der Kunstvermittlung aus? Wird es nach Corona neue Möglichkeiten der künstlerischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geben? Wie transformiert sich die Kunstvermittlung? Wie können sich digitale und analoge Inhalte im künstlerischen Prozess ergänzen und möglichst komplementär steigern?
L: Die Entwicklung digitaler Angebote wird mit Sicherheit nicht allein eine temporäre Auswirkung der Pandemie bleiben, sondern danach fortgesetzt und erweitert werden. Was als „Notlösung“ begann, ist teilweise jetzt schon Bestandteil von Präsenzangeboten. Aktuell gibt es hybride Kurseinheiten sowie die Planung von Instagram-Formaten mit präsentischer Teilhabe – sobald es die Lage wieder zulässt.
S: Ich glaube, dass die Pandemie eine Chance ist, unser größtenteils noch recht verqueres Verhältnis zu digitalen Technologien ein Stück weiter zu überwinden. Welche widersprüchlichen Formen das annehmen kann, zeigt beispielsweise die begriffliche Unterscheidung zwischen Präsenz- und Online-Unterricht. Unabhängig von der Form der Vermittlung beruht eine erfolgreiche Teilhabe auf einer wie auch immer gearteten Präsenz der Teilnehmer*innen sowie deren Bereitschaft Informationen empfangen sowie senden zu wollen (online zu sein). Statt die Virtualität als Erweiterung unserer leiblichen Welt zu betrachten, wird sie in einigen Lebensbereichen immer noch als eine Art Parallelwelt angesehen.
Frage 4: Hat sich auch durch das letzte Jahr euer Blick auf die Kunst verändert? Was für Erkenntnisse nehmt ihr für eure Kunst aus dieser Zeit mit?
L: Auch wenn ich vorwiegend mit analogen Techniken arbeite, so habe ich schon immer mit digitalen Techniken gearbeitet und Programmen experimentiert. Angefangen bei der Fotografie, über Bildbearbeitung bis zu digitalen Zeichnungen. Für mich persönlich hat sich also nicht sonderlich viel geändert. Neu hinzu kam die intensivere Nutzung der sozialen Netzwerke im Rahmen von Kunstprojekten mit und für Teilnehmer*innen - wie zum Beispiel das Erstellen von Kunst-Tutorials und Inspirationen in Form von Instagram-Stories. Und so schwer die wirtschaftlichen Folgen für Künstler*innen in einer solchen Zeit auch sein mögen, hat mich meine Tätigkeit als freischaffende Künstlerin seit Anbeginn gelehrt, mit einer eher unsicheren Position zu leben und umzugehen. Von daher versuche immer mein Bestes aus der jeweiligen Situation zu machen.
S: Wir alle tragen es täglich bei uns, nutzen es für Nachrichten, zum Telefonieren, um über soziale Netzwerke miteinander verbunden zu bleiben. Dabei kann unser Smartphone so vieles mehr. Mit Apps kann man Bilder erstellen und verändern, Töne aufnehmen und sogar Stopp-Motion-Filme produzieren. Gerade in der bildenden Kunst sollten wir anfangen, das „Digitale“ einfacher zu denken, Hemmschwellen abzubauen und die beeindruckende sowie vermeintlich konkurrierende Handfertigkeit KI-basierter Software zu nutzen. Denn was eine Künstler*in maßgeblich ausmacht, ist ihre Fähigkeit über den Tellerrand zu schauen, Konventionen zu hinterfragen und Grenzen zu durchbrechen. In der Kunstvermittlung darf also nicht das einfach Übertragen kultureller Wertevorstellung im Mittelpunkt stehen. Vielmehr geht es hier um das Vermitteln von Fähigkeiten, die Welt kritisch zu betrachten und mit künstlerischen Mittel eigene Geschichten zu erzählen und Welten zu entwerfen. Das Erlernen handwerklicher Fertigkeiten sollte dabei das Verwenden einfacher digitaler Techniken nicht ausschließen, sondern diese nutzen.
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Die Jungendkunstschule
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