Kunst oder Kitsch - Interview mit Isabel Rith-Magni, Kunsthistorikerin

Interview mit Isabel Rith-Magni, Kunsthistorikerin

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt unsere Assoziation des Kitschs mit dem „schlechten Geschmack“. 1925 verwendet der Wiener Schriftsteller Fritz Karpfen in Bezug auf die steigende Reproduktion von Bildern für den Gebrauch der breiten Massen im schmucken Zuhause die Bezeichnung „Schmücke-dein-Heim-Bilder“.

Aber nicht nur KritikerInnen und BeobachterInnen der Kunst, sondern die Kunstschaffenden selbst benutzen den Begriff ‚Kitsch‘ bereitwillig. Während Kitsch oft mit Massenreproduktion von Kunstwerken in Verbindung gebracht wurde und wird, bemerkte Ferdinand Avenarius schon um 1922, dass KünstlerInnen den Kitschbegriff nicht zuletzt auch als Strategie nutzen, um sich von ihren VorgängerInnen und KonkurrentInnen abzugrenzen.

 

Arte fact: Wie hat sich der Kitschbegriff auf den Kunstbegriff ausgewirkt?

 

Kitsch ist sozusagen ein Oppositionsbegriff zu Kunst. Kitsch ist alles, was es nicht über die – variable und in stetiger Neuausrichtung befindliche – Messlatte dessen schafft, was in einer Gemeinschaft durch Erziehung, Gewohnheit, Konvention als ‚Kunst‘ gilt. Aber im Unterschied etwa zu Kunsthandwerk oder Design gibt Kitsch vor, ‚Kunst‘ zu sein – naiv oder verlogen oder spielerisch. Kitsch ist also Schein-Kunst. Damit haftet ihm etwas Verlogenes an. Mit dem Autor Hans-Dieter Gelfert gesprochen, macht Unredlichkeit, Unlauterkeit, Heuchlertum – alles ethische und nicht ästhetische Kriterien! – den Kitschcharakter aus. Eine Figur, die sich im Gewand madonnenhafter Unschuld lasziv räkelt, wäre demnach Kitsch. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Das Beispiel zeigt, dass sich über die Frage nach ‚Kitsch‘ der Kunstbegriff mit seinen häufig unbewussten Implikationen schärfen lässt.

 

Arte fact: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Verwendung des Begriffs ‚Kitsch‘? Gibt es Parallelen zu den 1920er Jahren, als eine neue Künstlergeneration versucht hat, sich mit diesem Abstempeln von den VorgängerInnen abzuheben?

 

Über weite Strecken der Begriffsgeschichte zu ‚Kitsch‘ lässt sich beobachten, dass es sich um einen negativ konnotierten Begriff handelt, der gezielt zur Disqualifizierung von Produkten eingesetzt wird, mit denen man sich wohlweislich nicht identifizieren möchte, weil sie zu oberflächlich, zu abgegriffen, zu konservativ, zu läppisch, zu kommerziell, zu sonst was wirken. Es handelt sich also um einen Abgrenzungsbegriff, dessen Funktion in der Distanzierung von allem liegt, was den – wandelbaren! – Qualitätskriterien des eigenen Kunstverständnisses nicht entspricht. Das Bestreben, eben genau anders zu sein und sich dabei auf der ‚richtigen‘ Seite zu wähnen, gilt nicht nur für die 1920er Jahre.

Das ändert sich erst mit den jüngeren Entwicklungen einer reflexiven Kitschkunst, die  sich zu Kitsch – mitunter auch ironisierend – bekennt und damit den künstlerischen Standesdünkel entlarvt.

 

Arte fact: Als Kunstschaffende versuchen wir kritisch zu hinterfragen und in einen indirekten Dialog mit den Betrachtenden zu treten. Entsprechend versuchen viele KünstlerInnen Abstand von Bewertungen wie „gut“ oder „schlecht“ zu nehmen. Beobachten Sie eine Entwicklung, in der als Kitsch verstandene Darstellungsweisen, Motive, Farbkonzepte etc. absichtlich benutzt werden, um die mehr oder weniger gelungene Geschmackserziehung der vergangenen Jahrzehnte aufzubrechen?

 

Tatsächlich lassen sich Strömungen beobachten, die genau diesen gesamten Diskurs um Geschmacksdoktrinen oder -konventionen in der Kunst teilweise kritisch hinterfragen, da sie in der Abwertung von etwas als Kitsch eine Abgrenzungsstrategie gegenüber den Geschmacksvorlieben anderer sozialer Milieus sehen. 

Denken Sie etwa an den von den einen gefeierten, von den anderen verpönten Jeff Koons mit seinen monumentalisierten Nippesfiguren oder quietschbunten Luftballonfiguren, die er zu hochpolierten Edelstahlobjekten veredelt und damit eine als kitschig diffamierte Formensprache durch exzessive Übertreibung ad absurdum führt.

Die sogenannte ‚Kitschkunst‘ ist im Unterschied zum naiven Kunstkitsch reflexiv. Sie wirft Fragen auf, die genau auf die wunden Ränder eines vermeintlich über Ramsch, Schwulst, Plüsch erhabenen Kunstbegriffs zielen.

 

Arte fact: Zum Abschluss: Haben Sie eine Leseempfehlung für uns zum Thema Kitsch?

 

Die Literatur zum Kitsch ist recht umfangreich, und je nachdem, ob Sie eher an den philosophischen, psychologischen, kulturgeschichtlichen, soziologischen oder formal-ästhetischen Aspekten des Phänomens interessiert sind, werden Sie zu unterschiedlichen Büchern im Regal greifen. Es gibt ein kleines Reclambändchen (2007), in dem geradezu mustergültig Auszüge aus Texten und Theorien von Ute Dettmar und Thomas Küpper zusammengetragen sind und das so die unterschiedlichen Perspektiven auf die komplexe Debatte vom 18. Jahrhundert bis in die Jetztzeit nachzeichnet. Persönlich sehr anregend, tiefsinnig und doch gut lesbar finde ich auch die Theorie von Hans-Dieter Gelfert, der die Frage ‚Was ist Kitsch?‘ – so der Titel seines Buches (2000) – aus kulturgeschichtlicher Sicht zu klären versucht.

 

Das Interview wurde von Lisa Mannhardt per Email Ende August mit der Kunsthistorikerin Isabel Rith-Magni