Kunst und Glück

Ein Beitrag von Volker Altrichter

Liebe Freundinnen und Freunde der Kunst,

es wird vom Malen und Zeichnen, vom Kunstmachen erwartet, dass es das Leben bereichert und zu mehr Lebensqualität, Zufriedenheit und Glück verhilft. Geht man von dieser Annahme aus, so müssten die KünstlerInnen allesamt erfolgreiche Glückssucher sein. Ein Grund mehr für viele, sich nebenberuflich oder nachberuflich (wie hier im artefact) mit Kunst zu beschäftigen.

Aber sind Künstler nun glücklichere, erfülltere Menschen? Man möchte es annehmen. Oder?

In einem ersten Blogeintrag möchte ich näher auf das Thema „Kunst und Glück“ eingehen.

Hindernisse auf dem Weg

Eigentlich ist Malerei ja recht einfach zu lernen, wenn man all das, was auf der Leinwand geschieht, als unverstellte Wirklichkeit betrachtet. Die Farben, die Lasuren, die Formen, die Linien, die Modulationen und alle anderen gestalterischen Mittel, können im besten Fall zu spannenden Kompositionen verschmelzen.

Warum macht uns die Arbeit im Atelier trotzdem so viel Mühe,

wo es uns doch in ganz jungen Jahren einmal so leicht gefallen ist mit Stift, Pinsel und Papier umzugehen? Welch ein köstliches Gefühl es doch ist, Farbe auf Papier zu streichen oder ein Blatt voll zu kritzeln!

Liegt es womöglich am Selbstverständnis vieler Kunstschaffenden? Mit dem Begriff des Künstlers oder der Künstlerin scheinen sie manchmal so hohe Erwartungen zu verbinden, dass sie sich damit in ihrer künstlerischen Entwicklung selbst blockieren.

Dabei liegt es jedoch nicht an den TeilnehmerInnen in Kunstseminaren alleine. Auch die DozentInnen übertragen hin und wieder ihre eigenen Ängste, Frustrationen und veralteten Konzepte auf die StudentInnen.

Klammern an die Theorie

Theorien sind - im Gegensatz zur Geschichte der Malerei - eigentlich nicht notwendig für unsere Arbeit, denn sie engen kreative Prozesse sehr stark ein.

Ein künstlerischer Mensch hat wohl die entsprechende Erfahrung, er hat die entsprechende Übung und Leidenschaft, aber er hat keine Theorie. Dadurch kann er  sich ständig weiterentwickeln, im besten Falle ohne übertriebene Anstrengung.

Es ist aus meiner Sicht ratsam, den vielfältigen Theorien, Rezepte und Dogmen, an die sich künstlerische AnfängerInnen so sehr klammern, weniger Beachtung zu schenken.

Es gibt tatsächlich weder eine äußere noch eine innere Sicherheit bei der künstlerischen Arbeit. Unsicherheit ist der Stoff, aus dem die Kunst gemacht ist. Es ist befreiend zu verstehen, dass Sicherheit ist mit dem Wesen der Kunst unvereinbar ist.

Identitäten

Viele nennen sich KünstlerIn und identifizieren sich mit diesem Begriff. Er gibt ihnen das Gefühl von Bedeutung und Identität.

Doch Identifikationen sind nicht segensreich. Egal was man tut – man sollte nicht so stark darauf beschränkt sein. Diese Einstellung ist hilfreich, um die die eitle Künstler-Persönlichkeit auf Normalmaß zu schrumpfen. Etwas Demut hilft bei der Arbeit sehr.

Wenn ich koche bin ich Koch, wenn ich male bin ich Maler. Wenn ich unterrichte bin ich Lehrer.

Auf dies Art und Weise hält man sich den Kopf frei und bleibt im Fluss.

Nebenbei bemerkt:

Frauen fällt es viel leichter, verschiedene oder sogar entgegengesetzte Tätigkeiten gleichzeitig auszuüben. Männer sind fokussierter und fallen gerne in sich zusammen, wenn sie ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beraubt werden.

Das erklärt vielleicht auch, warum in Kunstseminaren üblicherweise 90% der Teilnehmenden weiblichen Geschlechts sind: Männer identifizieren sich einfach zu sehr mit ihren jeweiligen gesellschaftlichen Funktionen.

Die Sache mit dem Ehrgeiz

Ehrgeiz ist, genauer betrachtet, eine sehr hässliche Wortkombination und besitzt als menschliche Eigenschaft trotzdem einen überragenden Stellenwert in unserer Gesellschaft.   

Dabei ist davon auszugehen, dass kein ehrgeiziger Mensch jemals zufrieden war.

Man muss es nicht gleich so spitz formulieren wie der großartige Spötter Oscar Wilde: Sein berühmter Satz, „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers“, beschreibt aber das Dilemma der ehrgeizigen KünstlerInnen sehr pointiert.

Die Werke ehrgeiziger KünstlerInnen haben in ihrer Wirkung etwas seltsam Verkrampftes. Sie sind oft Ausdruck eines künstlerischen Prozesses, der sehr am Ergebnis orientiert ist und auf gesellschaftliche Anerkennung schielt (ganz zu schweigen von denjenigen, die die Anzahl der Likes auf ihren Instagram Accounts für ein Qualitätsmerkmal ihrer Arbeiten halten).

Mit solchen Voraussetzungen wird man leider niemals tief in die Kunst der Malerei vordringen. Man wird auch den Prozess des Malens nicht wirklich genießen können.

Überragende Präsenz kann in der Malerei nur dann entstehen, wenn alles fließt. Ohne Ehrgeiz und ungesunde Motivationen. Es wird manchmal auch so beschrieben:

Wirkliche Malerei wird niemals von einem erschaffen, sondern immer durch einen.

Die sinnlose Suche nach Sinn

Auch die BedeutungssucherInnen haben es schwer, denn die Kunst ist wie jedes Spiel autonom. Eine Kunst um der sozialen Nützlichkeit willen ist keine. Genau wie eine berechnende Freundschaft keine Freundschaft ist.

Kunst hat Regeln, aber sie gibt sie sich selbst, um sie später wieder aufzulösen. Sie ist in erster Linie so bedeutungslos wie unsere Existenz.

Man kann die herrliche Sinnlosigkeit der Kunst auch als Metapher für das Leben sehen. Die Kunst ist ein Spiegel und das ist im höchsten Maße subversiv.

Die Kunst läuft auf nichts hinaus, strebt kein Ziel an. Sie ist einfach gegenwärtig. Eine große Freiheit, die man genießen kann.

Das unfokussierte Bewusstsein

Der moderne Mensch ist in seinem Tun immer mehr zerteilt worden. Heute haben wir Experten für alles: Der eine kümmert sich um die Ohren, der andere kümmert sich um das Herz, wieder ein anderer kümmert sich um den Rücken.

In der Kunst ist der Mensch als Ganzes gefordert - mit seiner umfassenden Wahrnehmung der Gegenwart.

In dem selben Maße, wie die Gesellschaft als Ganzes ständig komplexer wird, lässt sie den Einzelnen im Hinblick auf die Entfaltung seiner kreativen Anlagen verarmen.

Für ein künstlerisches Werk sollte man nach allen Seiten offen sein.

Die aktuelle Wissenschaft erforscht immer mehr das Detail. Der elektronenmikroskopische Blick muss sehr fokussiert sein um die kleinsten Informationen zu verarbeiten.

Kunst funktioniert genau entgegengesetzt, unfokussiert, weit und nach allen Richtungen offen.

Malerei braucht ein unfokussiertes Bewusstsein ebenso wie einen weiten Blick um andere, subtilere, weniger offensichtliche Informationen zu empfangen und zu verarbeiten.

Das alles ist nicht ganz einfach, wenn man am Anfang seiner Karriere steht.

In den Studiengängen im arte fact versuchen wir diesem offenen Geist in Malerei, Zeichnung und Grafik einen Raum zu geben, in welchem Sie lernen ihre Arbeit zu genießen. Sie sind herzlich dazu eingeladen.

Volker Altrichter

Dozent, arte fact Bonn

Zu den Seminaren von Volker Altrichter